Die Europäische Kommission hat heute beschlossen, rechtlich dagegen vorzugehen, wie Frankreich und Deutschland ihre Mindestlohngesetze im Verkehrssektor anwenden.
Sie unterstützt zwar voll und ganz das Prinzip eines Mindestlohnes, vertritt aber die Ansicht, dass eine systematische Anwendung der Mindestlohngesetze Frankreichs bzw. Deutschlands auf alle Verkehrsleistungen in ihren jeweiligen Staatsgebieten eine unverhältnismäßige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit und des freien Warenverkehrs bewirkt.
Nach einem Informationsaustausch mit den französischen Behörden und einer eingehenden rechtlichen Prüfung der ab 1. Juli 2016 geltenden französischen Rechtsvorschriften hat die Kommission beschlossen, ein Aufforderungsschreiben an Frankreich zu schicken. Dieses Schreiben ist der erste Schritt eines Vertragsverletzungsverfahrens.
Außerdem schickt die Kommission ein ergänzendes Aufforderungsschreiben an die deutsche Regierung. Gegen Deutschland wurde schon im Mai 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Anschließend fanden ausführliche Gespräche mit den deutschen Behörden statt, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Die Bedenken der Kommission wurden jedoch weder durch die Antwort Deutschlands auf das Aufforderungsschreiben noch durch die anschließenden Gespräche ausgeräumt.
In beiden Fällen ist die Kommission der Ansicht, dass die Anwendung des Mindestlohns auf bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen, die nur einen geringen Bezug zum Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufweisen, nicht zu rechtfertigen ist, weil dadurch unangemessene Verwaltungshürden geschaffen werden, die ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts behindern. Nach Meinung der Kommission gibt es angemessenere Maßnahmen, die zum sozialen Schutz der Arbeitnehmer und zur Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs ergriffen werden sollten und die gleichzeitig einen freien Waren- und Dienstleistungsverkehr ermöglichen.
Die französischen und deutschen Behörden haben nun zwei Monate Zeit, um auf die Argumente der Europäischen Kommission zu reagieren.
Hintergrund
Die Kommission befürwortet das Prinzip eines Mindestlohns, denn es gewährleistet soziale Gerechtigkeit und steht im Einklang mit ihren sozialpolitischen Zielvorstellungen. Als Hüterin der Verträge muss die Kommission aber auch dafür Sorge tragen, dass die Anwendung der nationalen Maßnahmen voll und ganz mit dem EU-Recht vereinbar ist. Dazu gehören die derzeit geltende Arbeitnehmer-Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/EG), die Durchsetzungsrichtlinie (Richtlinie 2014/67/EU), die bis zum 18. Juni 2016 in nationales Recht umzusetzen ist, das geltende EU-Verkehrsrecht und die in den Verträgen verankerten Grundsätze des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs. Außerdem muss dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben.
In Frankreich wurde im Jahr 2015 ein Gesetz erlassen, das die Anwendung des französischen Mindestlohns im Verkehrssektor regelt. Der Mindestlohn gilt demnach für Kabotageleistungen[1] und alle grenzüberschreitenden Beförderungsleistungen (außer reinem Transitverkehr). Die zugehörigen Durchführungsbestimmungen wurden per Dekret am 7. April 2016 erlassen und enthalten strikte Durchsetzungs- und Verwaltungsvorschriften, darunter die Verpflichtung, einen Rechtsvertreter auf französischem Gebiet zu benennen, der für die Führung der Arbeitsaufzeichnungen und Lohnunterlagen der entsandten Arbeitnehmer verantwortlich ist, damit innerhalb von 18 Monaten nach der letzten Entsendung Kontrollen durchgeführt werden können. Das Gesetz tritt am 1. Juli 2016 in Kraft.
Das deutsche Mindestlohngesetz trat am 1. Januar 2015 in Kraft. Es gilt auch für Unternehmen mit Sitz außerhalb Deutschlands, die Dienstleistungen in Deutschland erbringen. So sind ausländische Unternehmen in bestimmten Wirtschaftssektoren, darunter auch im Verkehrsbereich, verpflichtet, ihre Tätigkeiten beim deutschen Zoll mit besonderen Formularen anzumelden. Die Sanktionen belaufen sich bei Verstößen gegen diese Meldepflicht auf bis zu 30 000 EUR und auf bis zu 500 000 EUR, falls die gezahlten Löhne gegen das deutsche Mindestlohngesetz verstoßen.
Am 8. März 2016 schlug die Kommission die Überarbeitung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern vor. Darüber hinaus sollen die anstehenden Initiativen für den Straßenverkehrssektor die Klarheit und die Durchsetzung der auf Arbeitsverträge im Transportsektor anzuwendenden Vorschriften verbessern; mit ihnen könnten auch die besonderen Herausforderungen angegangen werden, die die Anwendung der Entsenderichtlinie in diesem Sektor mit sich bringt.
Weitere Informationen
- über Vertragsverletzungen im Bereich Mobilität und Verkehr in der EU,
- über die wichtigsten Beschlüsse des Vertragsverletzungspakets im Juni siehe das ausführliche MEMO/16/2097,
- über Vertragsverletzungsverfahren allgemein siehe MEMO/12/12,
- Informationen über die Vertragsverletzungsverfahren.
[1] Kabotage ist der von gebietsfremden Verkehrsunternehmern zeitweilig in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführte innerstaatliche Güterverkehr.
IP/16/210 – Quelle: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-2101_de.htm